AI Werbepsychologie #Kaufmotive#Künstliche Intelligenz#Markenführung#Markenkommunikation
Warum gute Werbung Menschen verstehen muss
von Diana Ernemann / Mittwoch, 15. Oktober 2025
Wie Empathie & Psychologie bessere Markenkommunikation schaffen
1. Menschen sind ambivalent, komplex und emotional – Werbung muss das verstehen, statt nur zu automatisieren
Menschen sind keine Datensätze. Sie handeln widersprüchlich, fühlen ambivalent und treffen Entscheidungen selten rein rational.
Studien aus der Wirtschaftspsychologie zeigen, dass erfolgreiche Werbung genau das anerkennt – und nicht versucht, menschliches Verhalten in lineare Modelle zu pressen.
Beispielsweise belegen Otamendi & Sutil Martín (The Emotional Effectiveness of Advertisement, 2020), dass emotionale Resonanz entscheidender für Markenerinnerung ist als rein kognitive Reize.
Emotionen wirken auf einer tieferen Ebene – sie schaffen Bindung, Vertrauen und Motivation.
Automatisierte Systeme erkennen zwar Muster, aber sie verstehen keine Motive.
Werbung, die den Menschen hinter den Daten begreift, ist nachhaltiger – weil sie auf psychologische Wahrheit statt auf statistische Wahrscheinlichkeit setzt.
Verstehe die unbewussten Kaufmotive – Psychologie ist mächtiger als jede KPI.

2. Die Ambivalenz des Menschen – zwischen Sicherheit und Abenteuer
Werbung muss Widersprüche erkennen und kreativ nutzen
Menschen wollen beides: Sicherheit und Abenteuer, Zugehörigkeit und Individualität.
Marken, die diese Gegensätze verstehen, können Relevanz und emotionale Tiefe zugleich erzeugen.
Eine Studie aus der Trends in Psychology (2025) zeigt, dass Jugendliche Marken nutzen, um sich individuell auszudrücken – und gleichzeitig soziale Zugehörigkeit zu erleben.
Diese „Ambivalenz der Identität“ ist keine Schwäche, sondern eine Chance: Werbung darf Spannungen zeigen, statt sie zu glätten.
Raimondo et al. (Consumers’ identity signaling towards social groups, Psychology & Marketing) untersuchten, wie das Bedürfnis, sich von bestimmten Gruppen abzugrenzen, und gleichzeitig das Bedürfnis nach Zugehörigkeit das Konsumentenverhalten beeinflusst.
Marken, die diese Spannung verstehen, können beide Seiten des Menschen ansprechen – und dadurch stärkere Markenbindung erzeugen.
→ Werbung, die Gegensätze zulässt, wirkt glaubwürdiger und emotionaler.
Ohne psychologisches Verständnis bleibt Werbung oberflächlich
Technik kann Kampagnen skalieren, aber nur psychologische Empathie kann sie bedeutsam machen.
Wer den Widerspruch zwischen Nähe und Distanz, Gewohnheit und Neugier spürt, trifft das Herz der Marke – und das Herz der Zielgruppe.

3. Werbung als menschliche Kommunikation
Werbung ist kein technischer Prozess, sondern ein Dialog mit echten Menschen
Werbung ist mehr als Reichweite, Klicks und Algorithmen – Sie ist Beziehungskommunikation. Gute Werbung spricht mit Menschen, nicht zu ihnen.
Kommunikationsmodelle wie das Dialogic Communication Model for Advertising (Karimova et al.) zeigen, dass Markenkommunikation dann wirkt, wenn Botschaften dialogisch sind – also Offenheit, Empathie und Resonanz erzeugen.
In der Praxis bedeutet das:
- Werbung sollte weniger Monolog und mehr Gespräch sein.
- Marken müssen zuhören, reagieren und kontextsensibel kommunizieren.
- Emotionen, Tonalität und Timing sind genauso wichtig wie Zielgruppenlogik.
Gute Werbung fühlt sich an wie ein Gespräch
Wenn Werbung nur wie ein Output aus der Maschine klingt – das hundertste Standardbanner oder generische AI-Content – verliert sie an Glaubwürdigkeit.
Ein Algorithmus kann Inhalte optimieren, aber keine Beziehung aufbauen.
Erfolgreiche Kampagnen schaffen Nähe, weil sie sich menschlich anfühlen:
Sie haben einen Ton, eine Haltung und manchmal sogar eine Verletzlichkeit.
Sie spiegeln echte Emotionen – und das erzeugt Vertrauen.
Kurz gesagt:
Menschen reagieren nicht auf Werbung. Sie reagieren auf Menschen, Motive und Emotionen in der Werbung.

4. Was bedeutet das für die Praxis?
AI kann deine Kampagnen optimieren – aber ohne tiefes Verständnis für Menschen verstärkst du nur mittelmäßige Erkenntnisse.
Künstliche Intelligenz ist ein mächtiges Werkzeug: Sie kann A/B-Tests automatisieren, Segmente verfeinern und Timing perfektionieren.
Aber ohne menschliches Einfühlungsvermögen werden KI-Modelle zu reinen Verstärkern von Durchschnittlichkeit.
Wenn die Grundlage schwache, oberflächliche Daten sind, dann optimiert AI genau das – Mittelmaß.
Psychologische Tiefe entsteht nicht aus Dashboards, sondern aus Verstehen.
Früher gingen Werber zu den Menschen. Sie beobachteten ihren Alltag, hörten zu, was sie bewegte und wie Produkte tatsächlich genutzt wurden – daraus entstanden Erkenntnisse.
Heute starren viele nur auf Dashboards und KPIs. Doch in Zahlen steckt kein Leben, kein Lachen, kein Schmerz – nur Muster.
AI kann Prozesse verfeinern.
Aber die Essenz muss von Menschen kommen, die Menschen verstehen.

Kreative Konzepte brauchen psychologisches Fundament
- Zielgruppentiefenverständnis: Motive, Ängste, Werte, Widersprüche erkennen
- Motivanalyse & emotionale Landkarte: Sicherheit vs. Risiko, Nähe vs. Freiheit, Konformität vs. Individualität
- Narrative & Storytelling: Geschichten, in denen sich Menschen selbst wiederfinden – mit all ihren Spannungen
- Verbindung von Daten & Intuition: Daten zeigen, was Menschen tun; Psychologie erklärt, warum

5. Fazit
Technologie verändert Werbung – aber sie ersetzt kein Verständnis für Menschen.
Wer nur misst, statt zuzuhören, verpasst, was Marken wirklich groß macht: Nähe, Bedeutung, Resonanz.
Gute Werbung ist kein Algorithmus, sondern Empathie in Aktion.
Sie versteht Ambivalenz nicht als Problem, sondern als Wahrheit menschlicher Natur.
Sie verbindet Daten mit Gefühl – und Technik mit Haltung.
Nur wenn wir wieder Menschen sehen, wird Werbung wirklich wirken.

Quellen
- Otamendi, F. J., & Sutil Martín, D. L. (2020). The Emotional Effectiveness of Advertisement. Frontiers in Psychology.
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC7498694
- Tamagni, L. et al. (2024). Why does advertising work? Exploring the neural mechanism of emotional effects of donation advertising slogans. Current Psychology.
https://link.springer.com/article/10.1007/s12144-024-05907-8
- Branded Clothing and the Identification Process: Ambivalence Between What I Want and What Society Wants from Me. Trends in Psychology (2025).
https://link.springer.com/article/10.1007/s43076-025-00484-6
- Karimova, G. et al. A Dialogic Communication Model for Advertising.
https://www.i-scholar.in/index.php/ijmbc/article/view/84800
- Liu, F. (2012). A Study of Principle of Conversation in Advertising Language.
https://www.researchgate.net/publication/274662142_A_Study_of_Principle_of_Conversation_in_Advertising_Language